Die historische Entwicklung der Landfrauenbewegung in Deutschland, die in ihren Anfängen bis ins Ende des 19. Jahrhunderts zurückreicht, ist eng verknüpft mit den weitreichenden Veränderungen, die sich innerhalb des Agrarsektors verstärkt seit der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts vollzogen: eine durch die Industrialisierung sich wandelnde Bevölkerungsstruktur, ein steigender Bedarf nach veredelten Nahrungsmitteln, eine sich immer stärker am Weltmarkt orientierende Landwirtschaft. Viele der ostelbischen Agrarier waren durch sinkende Getreidepreise auf dem Weltmarkt hoch verschuldet.
Vor diesem Hintergrund muss die Initiative der ostpreußischen Gutsfrau Elisabet Boehm gesehen werden, Frauen zum Zwecke ihrer ländlich-hauswirtschaftlichen und kulturellen Weiterbildung vereinsmäßig zu organisieren. Der am 2. Februar 1898 in Rastenburg/Ostpreußen gegründete erste landwirtschaftliche Hausfrauenverein wurde zum Ausgangspunkt einer Organisation im landwirtschaftlichen Bereich beheimateter Frauen, die sich bis 1933 zu einem der bedeutendsten Frauenverbände des Deutschen Reiches entwickeln sollte. Bei dem auf Initiative Elisabet Boehms gegründeten Reichsverband landwirtschaftlicher Hausfrauenvereine handelt es sich zudem um die Vorgängerorganisation des Deutschen Landfrauenverbandes, der mit etwa 550.000 Mitgliedern zu den größten Frauenorganisationen Deutschlands gehört. Noch heute finden sich die von den Mitgliedern des ersten landwirtschaftlichen Hausfrauenvereins in Rastenburg festgelegten Arbeitsschwerpunkte, den aktuellen Gegebenheiten angepasst, in der Satzung des Deutschen Landfrauenverbandes.
Die während der Anfangsphase in erster Linie von ostdeutschen Gutsfrauen getragene Interessenvertretung auf dem Lande lebender Frauen zielte, bedingt durch wirtschaftliche und sozialgeschichtliche Faktoren, zunächst auf eine ländlich-hauswirtschaftliche Weiterbildung und die Schaffung günstiger Absatzmöglichkeiten der Produkte der ländlichen Hauswirtschaft. Die kulturellen Aspekte des Vereinslebens wurden dabei jedoch keineswegs außer acht gelassen. Kam das mittel- und kleinbäuerliche Element innerhalb des Reichsverbandes auch erst mit den Vereinsgründungen in Südwestdeutschland stärker zum Tragen, so verstanden sich die landwirtschaftlichen Hausfrauenvereine jedoch stets als Berufsorganisation aller im landwirtschaftlichen Bereich beheimateten Frauen
Die vielfältige und durchaus erfolgreiche Arbeit des Reichsverbandes landwirtschaftlicher Hausfrauenvereine fand mit der Machtergreifung der Nationalsozialisten als unabhängige Organisation zunächst ein Ende. Aber bereits 1946 wurden auf Initiative von Gräfin Leutrum die ersten Wurzeln für einen Neubeginn der Landfrauenarbeit gelegt, und am 19. Oktober 1948 kam es zur Gründung der Nachfolgeorganisation, des Deutschen Landfrauenverbands. Seine Zielsetzungen stehen - den zeitlich aktuellen Erfordernissen angepasst - in der Tradition der von Elisabet Boehm in Ostpreußen gegründeten Landfrauenorganisation.
Wie es dazu
kam
Elisabet Boehm, die Gründerin der
Landfrauenorganisation in Deutschland, entstammte dem Kreis ostelbischer Gutsfrauen, die gerade auch in der Anfangsphase das Vereinsleben maßgeblich prägten. Bereits im ausgehenden 19.
Jahrhundert erkannte sie in sozialer Verantwortung - über ihren persönlichen Wirkungsbereich innerhalb des Gutbetriebes hinausblickend - die Notwendigkei weiblicher Einflussnahme auch innerhalb der Landwirtschaft. Ihr Engagement für die Belange der im landwirtschaftlichen Bereich beheimateten Frauen kann nur als
Ausnahmeerscheinung gewertet werden und konnte sich nur in einem liberalen, auch dem Bestreben eines Mädchens nach Entfaltungsmöglichkeiten gerecht werdenden Elternhaus
entwickeln.
Elisabet Boehm wird am 27. September 1859 als dritte Tochter des Gutsverwalters Hermann Steppuhn und seiner Ehefrau Emilie, die der Kaufmannsfamilie Noggerath entstammte, auf der Domäne Rastenburg in Ostpreußen geboren.
Bereits 1862 siedelt die Familie auf das von Hermann Steppuhn erworbene, stark heruntergewirtschaftete Rittergut Liekeim bei Bartenstein über. Der familiäre und gesellschaftliche Hintergrund gutsherrlicher Verhältnisse im ausgehenden 19. Jahrhundert und eine schwere Erkrankung in frühester Kindheit ermöglichen Elisabet Boehm ein heranwachsen, das geprägt war durch großzügiges Gewährenlassen, frei von aller Pflichterfüllung.
Erst ab einem Alter von etwa 10 Jahren erhält sie Unterricht von häufig wechselnden Gouvernanten, die selbst mangelhaft vorbereitet und ohne Neigung für diesen verantwortungsvollen Beruf, ihrem tiefergehenden Interesse kaum gerecht zu werden vermögen.
Infolge mangelnder pädagogischer Anleitung liest sie bald alles, dessen sie habhaft werden kann, jedoch stets darum bemüht, ihr Wissen - sowohl das Angelesene als auch das praktisch Erworbene - den Kindern der Instleute nahe zu bringen.
Die anderthalbjährige Königsberger Pensionszeit ab Oktober 1873 in der Höpfnerschen Schule hatte nicht die Aufgabe, einer tiefergehenden Bildung zu dienen, sondern bereitete auf ein Leben innerhalb der Gesellschaftsschicht von Gutsbesitzern vor, vermittelte nur das unbedingt nötige Wissen, um auf dem gesellschaftlichen Parkett eine gute Figur zu machen und nicht zuletzt die Heiratschancen des heranwachsenden Mädchens zu verbessern.
Im Alter von 15 Jahren als erwachsene junge Dame auf das elterliche Gut Liekeim zurückgekehrt, wartet auf Elisabet das Leben einer Haustochter, eine Übergangszeit bis zu ihrer Heirat, in der sie sich, abgesehen von kleineren häuslichen Aufgaben, ganz der Muse einzige Forderung , der sie Genüge zu leisten hat, ist, mit der Summe von 30 M monatlichen Taschengeldes für eine standesgemäße Garderobe Sorge zu tragen.
Diese durch oberflächliche Konversation auf Damenkränzchen oder Tanzveranstaltungen in der nahegelegenen Kleinstadt Bartenstein oder den umliegenden Gütern nur recht mangelhaft ausgefüllte Wartezeit bis zur Hochzeit, ihrer einzigen Zukunftsperspektive, versucht sie durch systematische Lektüre, die sie sich selbst bald verpflichtend auferlegt, zu nutzen.
Der Gedanke, das angeeignete Wissen beruflich zu nutzen, liegt - noch völlig im Einklang mit traditionellen Vorstellungen eines großbürgerlichen Frauenlebens - außerhalb jeder Erwägung.
Ihr Wunsch, auch über gesellschaftspolitische wichtige Probleme zu diskutieren und nicht nur über die ihr zugebilligten Frauenthemen sprechen zu dürfen, stößt sich jedoch an der gesellschaftlichen Realität der Lebenswelt Ostelbiens.
In diese Zeit fällt auch ihre erste Begegnung mit dem Gedankengut der deutschen Frauenbewegung. Gemeinsam mit ihrer Schwester Tony liest sie nun die "Neuen Bahnen", die Zeitschrift des Allgemeinen Deutschen Frauenvereins und die "Gegenwart".
Am 7. August 1880 heiratet Elisabet Steppuhn den ehemaligen Fähnrich Otto Boehm, Sohn eines wohlhabenden ostpreußischen Gutsbesitzers aus dem nahegelegenen Glaubitten. Im Sommer 1880 zieht das junge Ehepaar auf das ganz heruntergewirtschaftete, verkommene Gut Lamgarben in der Nähe der ostpreußischen Kleinstadt Rastenburg.
Angesichts der äußerst schwierigen wirtschaftlichen Situation des Lamgarbener Gutsbetriebes, der zur Gesundung das Engagement eines erfahrenen Landwirts verlangt und seinen Besitzern ein in diesem Maße bisher nie gekanntes sparsames Haushalten auferlegt, treten rein praktische Fragen in den Vordergrund.
Deutlich spürt nun auch Elisabet Boehm die Mängel bürgerlicher, allein auf schöngeistige Bildung ausgerichteter Erziehungsmuster. Unzureichend vorbereitet für den Beruf der ländlichen Hauswirtschaft und die mögliche Situation akuter Not, die mehr von einer Gutsfrau fordert als allein die Einteilung und Überwachung der durch das Personal verrichteten Arbeiten und die Erfüllung reiner Repräsenta- tionspflichten.
Sie lernt am eigenen Leib kennen, wie Unrecht es war, dass die Frauen nicht für ihren Beruf gründlich ausgebildet wurden. Durch die äußeren Umstände gezwungen, bleibt ihr nur die Möglichkeit, nun alles selbst gründlich auszuprobieren und ohne Wirtschafterin, nur mit einem Stubenmädchen, sich selbständig in ihren Aufgabenbereich einzuarbeiten und die ihrer Führung unterliegenden Gebiete nach den Erfordernissen schrittweise zu gestalten.
Erstaunlich erscheint aus heutiger Sicht der Freiraum, den sich Elisabet Boehm bereits in den ersten Jahren ihrer Ehe verschafft, ihre intensive Beschäftigung mit politischen Fragen des Zeitgeschehens . Sie, die kein Wahlrecht besitzt, nimmt es ernst mit dem Erlangen einer politischen Meinung.
Von entscheidender Bedeutung für Elisabet Boehms weitere Entwicklung, ihre zunehmende Ausrichtung auf existentielle Probleme ihres weiteren Umfeldes und ihr Bemühen um praktische Hilfeleistung, ist der Zuzug der Baronin von Schmidtseck , ihrer Erweckerin, die in ihrem Bezirk Schwarzstein einen Vaterländischen Frauenverein ins Leben ruft. Bereits erfahren in der Vereinstätigkeit, wirbt sie um Mitglieder und findet auch in Elisabet Boehm eine begeisterte Jüngerin.
Angesichts der 1866/67 drohenden deutsch-russischen Auseinandersetzung stellt der neu gegründete Verein seine Tätigkeit auf sozialer Ebene zunächst ein, um, wie in der Satzung festgeschrieben, die seitens des Ministeriums für den Kriegsfall angeordneten zivilen Hilfsmaßnahmen vorzubereiten.
Die in der Zusammenarbeit mit Baronin von Schmidtseck erworbenen Erfahrungen, besonders ihr außerordentliches Organisationstalent, werden ihr in den folgenden Jahren beim Aufbau der landwirtschaftlichen Hausfrauenvereine Leitbild sein.
Die sich zuspitzende Krise der deutschen Landwirtschaft gegen Ende der siebziger Jahre des 19. Jahrhunderts, die besonders die ostelbischen Grundbesitzer als Hauptgetreideexporteure trifft, wird nun auch deutlich spürbar auf dem Boehmschen Gut Lamgarben, und agrarpolitische Themen gewinnen für Elisabet Boehm zunehmend an Wichtigkeit.
Infolge der Verringerung der 1880 festgelegten Schutzzölle unter Caprivi kommt es im Jahre 1893 erstmalig zu einem umfassenden überregionalen Zusammenschluss der Landwirte im "Bund der Landwirte". Elisabet Boehm steht mit ganzer Seele hinter dieser Bewegung, jedoch nicht ohne das Gefühl einer Empörung darüber, stellvertretend für alle innerhalb der Landwirtschaft wirkenden Frauen, mit Selbstverständlichkeit bisher übergangen worden zu sein, ausgeschlossen aus einer Gemeinschaft, deren Ziele zu einem wesentlichen Teil auch die ureigensten Interessen der Landfrau beinhalten, ohne ihr eine Stimme in der Öffentlichkeit zu gewähren. Wie lange sollten Gartenbau und Geflügelzucht lediglich den Stellenwert einer unrentablen Liebhaberei der Gutsfrau einnehmen.
Ein wesentlicher Anstoß für ihr künftiges Engagement auf dem Sektor der ländlichen Hauswirtschaft, die ihr bald zur Lebensaufgabe wird, geht von der in Königsberg stattfindenden Ausstellung der Deutschen Landwirtschaftsgesellschaft aus. Sie wird zum belebenden Faktor für das landwirtschaftliche Vereinsleben der Provinz.
Betroffen durch das nach dem Kriege 1870/71 geäußerte Wort Moltkes: "Der nächste Krieg wird nach zwei Fronten sein, und wenn Deutschland sich dann nicht selbst ernähren kann, so ist der Krieg verloren vor dem ersten Kanonenschuss", gewinnt in ihr die Einsicht in die Notwendigkeit eines Zusammenschlusses aller Landfrauen zum Zwecke ihrer Fortbildung als volkswirtschaftliches Gebot der Stunde zunehmend an Gestalt. Sie beginnt den ihr zugewiesenen Kreis ihrer Familie, des Gutsbezirks und der Gemeinde zu durchbrechen, um eine ländliche Frauenbewegung zu gründen - zu einer Zeit, da die bürgerlichen und proletarischen Frauen bereits auf ein Stück Geschichte ihres Ringens um ihre Rechte zurückblicken können.
Die Landwirtschaftskammern wurden gegründet und nahmen die Landwirtschaft und die ganze Arbeit der Landwirte unter ihre schützenden und führenden Flügel. Aber die Landfrauen und ihre doch so wichtige Hauswirtschaft mit Verbrauch und Erzeugung wurde mit keinem Gedanken dabei erwähnt. Das erkannte Elisabet Boehm als eine Vernachlässigung, die eingeholt werden müsste und langsam erwuchs daraus der Gedanke, die Landfrauen zu organisieren zur Selbsthilfe.
30 Jahre ihres Lebens hat sie dann von 1898 bis 1929 in führender Stellung dieser Aufgabe gedient, die ein Teil der großen deutschen Frauenbewegung war.
Die Gründung des ersten landwirtschaftlichen Hausfrauenvereins 1898 in Rastenburg, Ostpreußen.
Die Mitglieder des ersten landwirtschaftlichen Hausfrauenvereins die ursprünglich einem Lesekränzchen angehörten, trafen sich zu nächst zu einer Vorbesprechung im Dezember 1897 im Hinterzimmer einer Rastenburger Konditorei. Zwei auf dem lande lebende und zwei Stadtfrauen zeigten Interesse für das Vorhaben Elisabet Boehms, städtische Konsumentinnen und ländliche Produzentinnen vereinsmäßig zusammenzuschließen. Die Frauen trennten sich mit dem Vorsatz, für eine Organisation ländlicher Hausfrauen im Kreis Rastenburg zu werben und Interessentinnen für die - zur damaligen Zeit noch recht ungewöhnliche Idee - zu begeistern.
Am 2. Februar 1898 fanden sich dann etwa 15 Frauen aus dem Kreis Rastenburg zu einer konstituierenden Sitzung zusammen, auf der es zur Gründung des ersten landwirtschaftlichen Hausfrauenvereins Deutschland kam.
Die Zielsetzung der Vereinigung gründete sich primär auf die Schaffung beruflicher, wirtschaftlicher und kultureller Entwicklungsmöglichkeiten der ländlichen Hausfrau. Der auf einer parteipolitisch und konfessionell neutralen Grundlage stehende Verein erstrebt eine grundsätzliche Anerkennung der Hausfrauenarbeit als Berufsarbeit.
Die Vereinsfrauen einigten sich auf ihrer Gründungsversammlung daher auf folgende
Arbeitsschwerpunkte:
1. Vermehrung der Kenntnisse durch gegenseitige Belehrung, Vorträge und
Lehrgänge auf
allen Gebieten, die die Hausfrauen angehen.
2. Ausbildung der Töchter und Hilfskräfte.
3. Hebung der Erzeugung in Gartenbau und Geflügelzucht bis zur Ausfuhrmöglichkeit und erleichterter Absatz dafür.
4. Überbrückung der Gegensätze zwischen Stadt und Land.
5. Anerkennung aller hauswirtschaftlichen Arbeit als Berufsarbeit.
Grundsätzlich sollten alle innerhalb der ländlichen Hauswirtschaft arbeitenden Frauen, sowohl Bäuerinnen kleinerer und mittlerer Betriebe als auch Gutsbesitzerinnen, für die Vereinsarbeit gewonnen werden.
Die Initiatorin Elisabet Boehm konnte jedoch auf keiner gewachsenen Bewegung innerhalb der Landfrauen aufbauen, sondern musste zunächst einmal das Bewusstsein für die Lebenssituation der Landfrau und ihren bisher weit unterschätzten Beitrag für die Land- und Volkswirtschaft wecken. Viele Gutsfrauen waren angesichts der angespannten wirtschaftlichen Situation bereit, einen eigenen Beitrag zur Gesundung des Betriebes zu leisten, die ländliche Hauswirtschaft dahingehend zu nutzen und wieder rentabel zu gestalten. Der Bäuerin sollten langfristig eigene Verdienstquellen erschlossen werden, um ihr zu einer gewissen Unabhängigkeit vom Wirtschaftsgeld ihres Mannes zu verhelfen und den Ausbau eines Betriebszweiges ihrer ländlichen Hauswirtschaft zu ermöglichen.
Voraussetzung hierfür war nicht zuletzt die in der Satzung festgeschriebene systematische kulturelle und wirtschaftliche Fortbildung auf gegenseitiger Belehrung der Vereinsfrauen untereinander und der Zusammenarbeit mit anderen Organisationen und Gremien. Eine Etablierung der Landfrauenorganisation auf öffentlicher Ebene seitens der Berufsvertretung der Landwirte konnte nur durch eine Anbindung an die Landwirtschaftskammer erfolgen.
Elisabet Boehm, die Gründerin des ersten landwirtschaftlichen Hausfrauenvereins, setzte sich nachdrücklich auch für die Aufnahme städtischer Mitglieder ein, um so einen Beitrag zur Überbrückung der bestehenden Differenzen zwischen Stadt- und Landbevölkerung zu leisten.
Die Entwicklung der frühen Vereinsarbeit und die regionale Verbreitung der landwirtschaftlichen Hausfrauenvereine
Bereits im Jahre 1900 kam es auf Initiative Marta Steppuhns, einer Schwester Elisabet Boehms, in Bartenstein zu einer Vereinsgründung nach dem Rastenburger Vorbild. 1903 folgten Lötzen, Gumbinnen, Insterburg, Gerdauen, Cranz und Königsberg. Im Jahr darauf schlossen sich die landwirtschaftlichen Hausfrauen in Treuburg, Goldap, Osterode und Rössel zu einem Verein zusammen.
Schon im März 1905 hatte sich die Idee der Gutsfrau Elisabet Boehm so weit verbreitet, dass sich 14 Vereine anlässlich der ersten Tagung in Königsberg zu einem ostpreußischen Verband zusammenschließen konnten. Im Jahr 1906 begann mit Vereinsgründungen in Neukirch, Neumünster und Basewark auch ein Vereinsleben in Westpreußen. 1911 folgte die Provinz Posen mit einem landwirtschaftlichen Hausfrauenverein in Schwersenz und Dörrwalde, Tornow und Berlinchen waren die ersten Vereinsgründungen in Brandenburg. Für Schlesien und Schleswig-Holstein lassen sich erste Zusammenschlüsse im Jahr 1913 in Bunzlau, Freystadt und Reichenbach, beziehungsweise Flensburg, Hadersleben, Itzehoe und Neumünster nachweisen.
Im Jahre 1913 erfolgte dann, auf Anraten des Vorsitzenden des preußischen Landesökonomiekollegiums, Freiherr von Wangenheim, die Zusammenfassung der sechs preußischen Landesverbände Ostpreußen, Westpreußen, Schlesien, Pommern, Posen und Schleswig-Holstein zu einem preußischen Landesverband unter dem Vorsitz von Elisabet Boehm.
In den Jahren 1915/16 kam es dann zur Gründung der Landesverbände Braunschweig, Hannover, Provinz Sachsen und Württemberg. Die bestehenden Landesverbände fanden ihren Zusammenschluss dann 1916 im Reichsverband landwirtschaftlicher Hausfrauenvereine. Der Vorsitz wurde wiederum Frau Boehm übertragen.
Zu Ihrem Verbandsabzeichen wählte sich die Landfrauenorganisation eine silberne Biene, deren Brustschild in den Farben des jeweiligen Landesverbandes gekennzeichnet war.
Das Zentralorgan der landwirtschaftlichen Hausfrauenvereine war die zunächst wöchentlich erscheinende "Deutsche Frauenarbeit" mit der monatlichen Beilage "Pommerscher Gartenbrief". Im Jahre 1923 ging die "Deutsche Frauenarbeit" in die Fachzeitung "Land und Frau" auf. Sie diente neben den Bekanntmachungen des Reichsverbandes, der angeschlossenen Landesverbände, Fachausschüsse und Gremien, dem überwiegend fachlichen Austausch der Mitglieder untereinander. Hinzu kamen die monatlichen Arbeitsanweisungen für die Vereinsberaterinnen, Gestaltungsvorschläge für die Vereinsarbeit, Informationen über andere Frauenvereinigungen, politische Stellungnahmen, Leserbriefe, Unterhaltung. Speziell der Rationalisierung und Technisierung des hauswirtschaftlichen Bereichs wurde der, seit März 1929 monatlich als Beilage zu "Land und Frau" erscheinende "Hauswirtschaftliche Beratungsdienst" gewidmet. Ergänzend zu dem zentralen Vereinsorgan gaben die einzelnen Landes- und Provinzialverbände ihre eigene, auf die regionalen Verhältnisse zugeschnittene Vereinszeitschrift heraus.
Die Verkaufsstellenorganisation im Vereinsleben
Bereits in der Satzung des ersten landwirtschaftlichen Hausfrauenvereins wurde eine "Vermehrung der Werterzeugung des ländlichen Haushaltes durch erleichterten Absatz und Versorgung des städtischen Haushaltes mit guter, frischer Ware durch erleichterten Einkauf" festgeschrieben.
Da der Weg zum Markt für die Bäuerin oft zu weit und beschwerlich war und der Absatz keineswegs garantiert werden konnte, verkaufte sie ihre Produkte häufig unter Preis an Hausierer, die eine geregelte Abnahme gewährleisteten, jedoch eine hohe Gewinnspanne für sich verbuchten.
Mögliche Verdienstquellen der großen Güter durch den Verkauf der Produkte ihrer ländlichen Hauswirtschaft wurden durch gesellschaftliche Zwänge häufig beschnitten, obwohl ein geregelter Verkauf eine erhebliche finanzielle Erleichterung bedeutet hätte. Wurde jedoch mit den landwirtschaftlichen Erzeugnissen, die dem Arbeitsbereich der Gutsfrau unterstanden, gehandelt, so geschah es mit aller Vorsicht und im Verborgenen, wie es auch Elisabet Boehm von ihrem elterlichen Gut Liekheim um die Jahrhundertwende berichtet.
Um einerseits den Landfrauen eine unabhängige Verdienstquelle durch den Absatz ihrer Produkte zu schaffen und andererseits der städtischen Bevölkerung den Einkauf ländlich-hauswirtschaftlicher Produkte unabhängig von den Markttagen und den fliegenden Händlern zu ermöglichen, erfolgte jede Vereinsgründung in Verbindung mit einer Verkaufstelle. Mit den Verkaufsstellen sollte zugleich ein Brennpunkt des Vereinslebens geschaffen werden, der nach den Vorstellungen der Gründerin Elisabet Boehm auch zu einer Erziehung kontinuierlicher Produktion qualitativ hochstehender Erzeugnisse der ländlichen Hauswirtschaft und einer gesamtwirtschaftlichen Sichtweise führen sollte.
In einem geregelten An- und Verkaufssystem sah man die Möglichkeit, die Interessen sowohl der Erzeuger als auch der Verbraucher zur Deckung zu bringen. Am 1. Oktober 1898 eröffnete der Rastenburger landwirtschaftliche Hausfrauenverein - unter dem Protest der Geschäftsleute - die erste Verkaufsstelle, auch Markthalle genannt.
In den folgenden Jahren entstand zunächst in der Provinz Ostpreußen ein dichtes Verkaufsstellennetz, in dem die Königsberger Markthallen eine zentrale Stellung einnahmen. Gerade in Königsberg hatten sich die Vereinsfrauen in besonderem Maße gegen eine Intervention von männlicher Seite durchzusetzen.
Der Ausbau der Nutzgeflügelzucht
Die Geflügelhaltung wurde als
Liebhaberei der Hausfrau und nicht unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten betrieben. Kenntnisse über eine rentable Hühnerhaltung - die sachgemäße Anlage eines Hühnerstalles oder geeignete
Futtermittelzusammenstellungen - fehlten noch zu Beginn dieses Jahrhunderts weitgehend. Allgemein herrschte die Ansicht vor, dass Federviehhaltung unrentabel sei, nicht zuletzt auch aufgrund
fehlenden Absatzmöglichkeiten. Häufig konnten die erwirtschafteten Eier nur an mobile Eierhändler zu einem geringen Preisniveau verkauft werden.
Der systematische Aufbau einer Nutzgeflügelzucht durch die landwirtschaftlichen Hausfrauenvereine konnte allein auf dem Wege einer direkten Einflussnahme auf die Lehranstalt der Landwirtschaftskammer erfolgen. Einer aktiven Mitarbeit der Vertreterinnen ostpreußischer Landfrauen im Ausschuss für Geflügelzucht stand jedoch das Kammergesetz entgegen, das ein weibliches Engagement auf diesem Gebiet nicht vorsah. Erst nach langfristigen Verhandlungen gelang es dem Verband für landwirtschaftlicher Hausfrauenvereine, drei Mitglieder in den Unterausschuss für Geflügelzucht an die ostpreußische Landwirtschaftskammer zu entsenden.
Die Zielsetzungen der Landfrauen fanden nun zunehmend Eingang in die Geflügellehranstalten, die sich der von den landwirtschaftlichen Hausfrauenvereinen geforderten Beschränkung auf drei Hühnerrassen (Orpingtons, Italiener, Plymothrocks) anschlossen, was schließlich zu einer alleinigen Anerkennung dieser drei Rassen durch die Landwirtschaftskammer führte, für die ausschließlich noch Kammerpreise vergeben werden durften.
Bereits im Jahre 1912 konnte das erste Orpington-Geflügelzuchtbuch, das später von der Landwirtschaftskammer übernommen wurde, durch die landwirtschaftlichen Hausfrauenvereine Ostpreußens gegründet werden.
Das ländlich-hauswirtschaftliche Lehrlingswesen
Eine wesentliche
Förderung und Formung durch die landw. Hausfrauenvereine erfuhr das ländlich-hauswirtschaftliche Ausbildungswesen. Über die eigene Generation hinausschauend, erkannten die Vereinsfrauen die
Notwendigkeit einer systematischen, den unterschiedlichen Betriebsverhältnissen entsprechenden Schulung der weiblichen Landjugend durch eine ländlich-hauswirtschaftliche Lehrlingsausbildung,
Mädchenklassen an den Landwirtschaftsschulen und ländlichen Hauswirtschaftsschulen. Ein innerhalb des Verbandes landw. Hausfrauenvereine gegründeter Ausschuss für Berufsschulfragen erarbeitete
Richtlinien für das ländlich-hauswirtschaftliche Schulwesen und erstrebte, in praktischer Zusammenarbeit mit Behörden und Verbänden, eine allmähliche Angleichung der Ausbildungsmöglichkeiten der
weiblichen Landjugend an das landwirtschaftliche Schulwesen der jungen Männer, das sich verstärkt in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts entwickelt hatte.
Ganz im Gegensatz zu den vielfältigen fachlichen Bildungseinrichtungen, die dem männlichen Nachwuchs in der Landwirtschaft zur Verfügung standen, war eine hauswirtschaftliche, bzw. eine ländlich-hauswirtschaftliche Ausbildung der Mädchen allein eine Privatangelegenheit des Elternhauses. Nach Beendigung der Schulzeit wurde das junge Mädchen bis zu seiner Heirat vorwiegend von der eigenen Mutter in die Arbeitsgebiete der ländlichen Hauswirtschaft eingeführt.
Von dem ostpreußischen Verband der landw. Hausfrauenvereine ausgehend, entstand der am engsten an der Praxis orientierte Zweig der neu geschaffenen Ausbildungsmöglichkeiten in der Hauswirtschaft, das ländlich-hauswirtschaftliche Lehrlingswesen. Diese Ausbildungsform entwickelte sich im Laufe der Zeit zur Grundlage für die Ausbildung zur Lehrerin der landwirtschaftlichen Haushaltskunde, der ländlichen Haushaltspflegerin und später auch der Meisterin der ländlichen Hauswirtschaft. Die Bestrebung der Landfrauenorganisation zielten ja - wie auch in der Satzung bereits 1898 festgelegt - auf eine generelle Anerkennung aller hauswirtschaftlichen Tätigkeit als Berufsarbeit. Grundlage für diese von den Vereinsmitgliedern geforderte Anerkennung konnte nur eine gesetzlich geregelte Lehrlingsausbildung sein.
Diese von den landw. Hausfrauenvereinen ins Leben gerufene Lehrlingsausbildung wurde wesentlich von denjenigen Mitgliedern getragen, die sich dazu bereit erklärten, ein Mädchen für die Dauer von zwei Jahren in ihren Haushalt aufzunehmen und - unterstützt durch den Verband - in alle Arbeitsbereiche der ländlichen Hauswirtschaft einzuführen. In der Aufbauphase dieses Ausbildungszweiges standen natürlich noch keine ausgebildeten Lehrfrauen zur Verfügung, die bereits eine vorschriftsmäßige Lehrzeit mit anschließender Prüfung absolviert hatten. Es handelte sich durchweg um engagierte Landfrauen, die die Bereitschaft mitbrachten, sich selbst weiterzubilden und sich neue Kenntnisse anzueignen. Geeignet als Ausbildungsstätte waren in erster Linie Betriebe mittlerer Größe, in denen das Lehrmädchen gemeinsam mit der Lehrfrau in noch überschaubaren Teilgebieten der Gesamtwirtschaft tätig sein konnte.
Im Jahre 1928 wurden vom preußischen Landwirtschaftsministerium einheitliche Rahmenbedingungen erlassen. Wies ein Betrieb in zwei aufeinanderfolgenden Lehrzeiten die erfolgreiche Ausbildung von Lehrlingen nach, so konnte ein Antrag auf Anerkennung als Lehrbetrieb von der Landwirtschaftskammer gestellt werden. Diese Anerkennung knüpfte sich jedoch an die Person der Lehrfrau und nicht an den Betrieb.
Während der zweijährigen Ausbildung sollte das Lehrmädchen alle Arbeitsbereiche der ländlichen Hauswirtschaft kennengelernt haben und die praktisch erworbenen Kenntnisse auch vor einer Prüfungskommission nachweisen können.
Das Arbeitsspektrum umfasste folgende Teilbereich:
Kochen, Einmachen, Backen, Einschlachten, Wäsche, Hausarbeit, Milchwirtschaft, Geflügelhaltung, Gartenbau, Schweine- und Kälberaufzucht und Nadelarbeit. Dieser Arbeitskanon wies jedoch regionale
Unterschiede auf und konnte auch Spezialgebiete, wie beispielsweise die Imkerei, beinhalten.
Um die Lehrlingsausbildung in der ländlichen Hauswirtschaft auch theoretisch zu untermauern, boten die Lehrerinnen an den Mädchenklassen der Landwirtschaftsschulen vierteljährlich die eingehende Besprechung eines Arbeitsschwerpunktes an. Den Lehrmädchen stand zudem die Teilnahme an den Vereinslehrgängen der landw. Hausfrauenvereine frei. Um den Lehrfrauen ihre besonders während der Aufbauphase schwierige Aufgabe zu erleichtern, führten die Verbände Schulungen für die ausbildenden Lehrfrauen durch.
Am 22. März 1921 wurde die erste Lehrlingsprüfung im sächsischen Verband landw. Hausfrauenvereine in Halle durchgeführt, und ebenfalls zu Beginn des Jahres 1921 die erste Prüfung in dem zum ostpreußischen Verbandsgebiet gehörenden Moditten.
Nach bestandener Prüfung durfte das junge Mädchen die Bezeichung "Jungwirtin" oder "Hauswirtschafts-Gehilfin" führen.
Nachspann
Als Elisabet Boehm im Jahre 1929 als Vorsitzende des
Reichsverbandes der landwirtschaftlichen Hausfrauenvereine zurücktrat, hatte sie während ihrer dreißigjährigen Tätigkeit, die durch intensive Arbeit und ständiges Streben gekennzeichnet war, ihr
Ziel erreicht: eine Ausbildung der Landfrauen, eine geregelte Fortbildung und eine Anerkennung der Bäuerin als Beruf. Sie hatte zudem versucht, durch die Einrichtung der Verkaufsstellen den
Frauen auf dem Lande ein eigenes Einkommen zu verschaffen.
Durch ihr Wirken hatte sich Elisabet Boehm große Verdienste erworben, die auch anerkannt wurden. Das beweisen die zahlreichen Ehrungen, die ihr zuteil wurden.
Bereits im Jahre 1913 erhielt sie aus der Hand der damaligen Kaiserin Auguste Viktoria das Frauenverdienstkreuz in Silber. An ihrem 70. Geburtstag, am 29. September 1929, als Elisabet Boehm den Vorsitz im Reichsverband der Landwirtschaftlichen Hausfrauenvereine niederlegte, wurde ihr die große Ehre zuteil, dass die Universität Königsberg in Anerkennung ihrer Verdienste um die Bereicherung der Volkswirtschaft durch Hebung der Hauswirtschaft - unter Überreichung der goldenen Kette - sie zu ihrer Ehrenbürgerin ernannte. Sie war die erste Frau, der diese Ehrung der Universität zugesprochen wurde
Von der Deutschen Landwirtschaftsgesellschaft wurde ihr die große Max-Eyth-Plakette in Bronze verliehen, von der Landwirtschaftskammer Sachsen eine Silberne Gedenkmünze, der Landwirtschaftliche Zentralverein Königsberg, in besonderem Gedenken treuer Zusammenarbeit, verlieh ihr eine silberne Plakette, die Landwirtschaftskammer Ostpreußen eine Medaille für besondere Verdienste.
Im Jahre 1943 starb Elisabet Boehm in Halle, wohin sie 1925 übergesiedelt war, nachdem sie satzungsgemäß im Alter von 65 Jahren den Vorsitz des Ostpreußischen Verbandes niedergelegt hatte. Ihr Lebenswerk blieb, es wurde im Jahre 1948, initiiert durch Gräfin Leutrum, zum Leben erweckt durch die Gründung des Deutschen Landfrauenvereins.
Am 8. Januar 1991 wurde Elisabet Boehm posthum die letzte Ehrung zuteil: Die Deutsche Bundespost gab eine Briefmarke heraus, die ihr Bild trägt.
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Benutzte Literatur:
"Im Zeichen
der Biene" - Elisabet Boehm und der landwirtschaftliche
Hausfrauenverein
- erschienen 1991 - Herausgeber: Landsmannschaft Ostpreußen - Abt. Kultur
Foto: virginia43/pixelio.de
Land-Frauen Verein
Bad Bramstedt
und Umgebung e.V.
Angela Menken
Waldchaussee 2
24632 Heidmoor
04192-1492